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Anja saß bereits an der Bar im Mövenpick und hatte sich ein Glas Wein bestellt. Ich gebe ihm noch fünf Minuten, dachte sie, als sie auf ihre Uhr schaute. Wenn er nicht kommt, werde ich das Hotelzimmer eben stornieren. Sie hatte nicht vor, ihn in ihre Wohnung mitzunehmen, am Ende bildete er sich ein, einfach bei ihr auftauchen zu können. Als sie bemerkte, dass Tudor bereits hinter ihr stand, fühlte sie sich ertappt und lächelte etwas aufgesetzt.

„Hallo Anja, schön, dass Sie gekommen sind. Aber Sie hätten sich Champagner bestellen sollen“, sagte ich sarkastisch und setzte mich auf den Barhocker neben ihr.

Anja grinste: „Ach weißt du, Champagner trinke ich eigentlich nur bei besonderen Gelegenheiten.“

Ich musste lachen. „Danke, eins zu null für Sie.“

„Ich würde gerne woanders hingehen, einverstanden?“, fragte sie und gab dem Barkeeper ein Zeichen. „Ich kenne eine kleine, gemütliche Bar, hier sitzt man so auf dem Präsentierteller.“

Es war wirklich gemütlich in dieser Hotelbar. Das gedämpfte Licht und die Kerzen auf den Tischen verpflichteten fast, intim zu werden; die dezente, etwas schmalzige Musik trug stimulierend dazu bei. Anjas Blick elektrisierte mich, er war fordernd und ihre Lippen vielversprechend, sie weckten in mir nicht nur den Wunsch nach Zärtlichkeit. Ich musste mir eingestehen, dass ich sie begehrte.

„Übrigens, du darfst mich ruhig duzen“, sagte Anja.

„Oh …, ja danke, wenn ich darf“, antwortete ich und konnte mir ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen.

„Du darfst, oder glaubst du, ich habe die Absicht, mit einem Mann zu schlafen, der im Bett Sie zu mir sagt?“

Am nächsten Morgen fuhr ich gleich vom Hotel aus zur Arbeit. Ich war hundemüde. Die frische Luft tat mir gut und half, meine Gedanken zu ordnen. Eine verrückte Nacht, dachte ich. Wir hatten uns immer wieder geliebt, bis zur totalen Erschöpfung, Anja schien nie genug zu bekommen. Es war purer Sex und so sehr ich mich auch bemüht hatte, bei ihr war keine Spur von Zärtlichkeit aufgekommen. Schade. Wir waren uns fremd geblieben, ich kannte nicht mal ihren Nachnamen, sie war jeder Frage ausgewichen. Als wir uns am Morgen verabschiedeten, fragte ich: „Wann sehen wir uns wieder?“

„Gib mir deine Telefonnummer, ich rufe dich an“, antwortete sie leicht genervt.

Tja, sie hatte mich eiskalt abserviert, aber hatte ich etwas Anderes erwarten können? Es war eben nur ein „One-Night-Stand“, mehr nicht. Trotzdem, ein wenig frustrierend war das schon und es hinterließ einen schalen Geschmack.

Anja hatte Mühe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, ihre Hände zitterten, als sie atemlos die Wohnungstür im dritten Stock aufschloss. Ihre Kleidung war derangiert, sie hielt einen Schuh in der Hand, den anderen hatte sie verloren.

Es war schon spät abends, als sie auf dem Heimweg, kurz vor ihrem Wohnhaus, überfallen worden war. Alles war sehr schnell, gegangen, eine männliche Gestalt hatte sie von hinten gepackt und gewürgt. Zum Glück war gerade ein Auto aus einer Garage gefahren, dadurch hatte sich der Angreifer einen Moment lang irritieren lassen. Diese Chance hatte Anja genutzt, um sich loszureißen und war in panischer Angst um ihr Leben gerannt.

Als sie ihre Wohnungstür von innen abschloss, ließ sie den Schlüssel stecken und legte die Kette vor. Ihr Herz hämmerte wild, sie hatte weiche Knie, ihr wurde schwindelig, sie musste sich auf den Boden sinken lassen. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, überlegte sie, ob sie die Polizei anrufen sollte, aber das machte keinen Sinn mehr. Auf einmal wurde ihr klar, dass jemand auf sie gewartet haben musste und das war kein Zufall.

Ich war überrascht, als Anja mich anrief, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie klang beunruhigt und wollte sich unbedingt mit mir treffen. Irgendetwas musste passiert sein, sie schien völlig verändert.

Die düstere Kneipe in Schwabing war sicher nicht Anjas Niveau. Ich wunderte mich. Sie schaute mich ernst an und sagte nur:

„Hallo.“ Ihr Blick flatterte, sie war angespannt, das mühsame Lächeln konnte nicht über die plötzlich harten Züge um ihren Mund hinwegtäuschen.

„Was ist los Anja, du siehst unglücklich aus, hast du Sorgen? Wenn du darüber sprechen möchtest - ich bin ein guter Zuhörer, vielleicht kann ich dir helfen.“

„Tut mir leid, ja, ich habe Probleme. Weißt du …, ich mag dich sehr, Tudor, vielleicht habe ich mich sogar in dich verliebt. Aber ich möchte dich nicht belasten.“, winkte sie ab und schlug die Augen geziert nieder.

Ich spürte, dass sie log und überlegte, was für ein Spiel das war. „Oh nein, das tust du ganz bestimmt nicht, ich würde mich freuen, wenn ich dir helfen könnte.“

Anja schaute mich prüfend an. „Danke, das ist sehr lieb von dir. Ich bin in einer schlimmen Situation, jemand hat versucht mich umzubringen, ich habe schreckliche Angst.“

Das klang nun doch ehrlich, ich schämte mich, ihr Unrecht getan zu haben. „Aber wer sollte dich denn umbringen wollen und warum?“, fragte ich betroffen.

„Ich kann darüber nicht reden. Es ist auch besser, wenn du erstmal nichts weißt.

„Und warum gehst du nicht zur Polizei?“

„Wer würde mir denn glauben?“ zuckte sie entmutigt mit den Schultern.

„Ich glaube dir.“

„Dann hilf mir bitte“, flehte Anja jetzt mit Tränen in den Augen.

Sie tat mir plötzlich leid, und ich fühlte mich hilflos. „Ich würde dir ja gerne helfen, aber wie?“

„Das Einzige was mir einfällt wäre - na ja, man müsste dieser Person zuvorkommen.“

Ich begriff nicht.

Ihr Ton wurde eindringlicher. „Man könnte es wie einen Unfall aussehen lassen. Bitte. Ich würde dir sehr viel Geld dafür geben. Du könntest dich sofort nach Rumänien absetzen, dir dort eine Existenz aufbauen. Und wenn Gras über die Sache gewachsen ist, könnten wir uns …“

Das war es also! Was für ein Dummkopf ich doch war!