Endlich Ruhe (Ausschnitt)
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Alfred hatte ausgerechnet: Wenn sie ihre Tabletten einnahm und dann nur vier Pralinen essen würde, müsste es reichen. Aber er war todsicher, sie würde alle vernichten. Als sie in den Zug einstieg, mahnte Alfred: „Vergiss nicht, deine Tabletten einzunehmen, in einer halben Stunde! Und iss die Pralinen, bevor du ankommst, sonst nimmt man sie dir weg. Du weißt, dort gibt es strenge Regeln.“
Der Zug entfernte sich aus der Bahnhofshalle und Alfreds Augen bekamen einen träumerischen Glanz. Vier Wochen Ruhe! Nein, endgültige Ruhe! Er konnte sein Glück kaum fassen. Er würde jetzt nach Hause fahren und auf den Anruf der Polizei warten: „Wir müssen Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen, Ihre Frau ist im Zug nach Tegernsee einem Herzversagen erlegen.“
Schnellen Schrittes zerrte er die keuchende Trixi hinter sich her, er hatte keine Lust mehr, Rücksicht zu nehmen. Zu Hause angekommen, setzte er sich in einen der beiden Liegestühle, die auf dem gepflegten Rasen im Garten eng beieinander standen und träumte von seiner Freiheit. Doch das wollte ihm nicht recht gelingen, so schnell konnte er die Vergangenheit nicht ablegen. Der leere Stuhl neben ihm machte ihn nervös, immer wieder tauchten Erinnerungen auf. Wie oft hatte er mit Brigitte hier gesessen, unfreiwillig. Regelmäßig nach dem Mittagessen wurde sie müde und legte sich dann in den Liegestuhl. „Alfi! Alfi! Kommst du endlich!“, tönte ihre hysterische Stimme in seinen Ohren. Wenn er kam, schlief sie sofort ein, mit Trixi auf dem Schoß, und beide fingen an, grässlich zu schnarchen. Dann konnte sich Alfred davon schleichen.
Was war nur aus ihrer Ehe geworden? Sie hatten sich einmal geliebt. Brigitte wollte unbedingt Kinder, aber sie waren kinderlos geblieben. Das Ergebnis unzähliger Untersuchungen war ein Schock für Alfred gewesen, er war zeugungsunfähig. Von da an veränderte sich Brigitte. Erst wurde sie depressiv, später dick und putzsüchtig. Beim geringsten Anlass schimpfte sie: „Pass doch auf, du kleckerst! Leg die Zeitungen nicht auf den Tisch! Zieh die Schuhe aus, ich habe gerade geputzt! So ging es den ganzen Tag, und wenn ihr irgendwann die Luft weg blieb, fielen ihr nur noch zwei hilflose Worte ein: „Du … du Unmann!“
Alfred fühlte sich schuldig, seine Zeugungsunfähigkeit machte ihm zu schaffen. Er schenkte ihr einen kleinen Mops. Sie nannte ihn Trixi. Für kurze Zeit wurde Brigitte erträglich, dann jedoch schienen sich beide gegen ihn zu verbünden. Trixi war total auf Brigitte fixiert und wurde genauso fett und hysterisch wie sie. Einmal sprang ihm ein Stück Kuchen von der Gabel auf den Boden. Er bückte sich, um es aufzuheben, sofort stürzte sich Trixi auf das unverhoffte Leckerli, aber er war schneller. Das machte Trixi wütend, ihre Augen quollen vor, sie fletschte ihre Vampirzähne. Das giftende Duo fiel nun gemeinsam über ihn her, Trixi biss ihm in die Hand und Brigitte schlug ihm mit der Fliegenklatsche auf den Kopf, wegen der Krümel auf dem Teppich.
Verzweifelt versuchte Alfred, sich einen kleinen Freiraum zu schaffen. Er bewaffnete sich mit Zeitungen und schloss sich in der Gästetoilette ein, dabei rauchte er Kette. Das missfiel den beiden natürlich auch. Brigitte donnerte gegen die Tür, Trixi kläffte sich die Seele aus dem Leib. „Alfi! Was machst du da so lange? Rauchst du schon wieder? Du solltest lieber den Müll rausbringen!“
Tiefe Resignation machte sich in Alfred breit. Er gab auf. Tage später war ihm dann der Zufall zu Hilfe gekommen. Brigitte hatte zu viele Herztabletten eingenommen und … Das Telefon klingelte.
Alfred wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er sprang auf, das musste die Polizei sein. Falsch, es war die Schlankheitsfarm. „Auch gut.“ dachte er. Brigitte war dort nicht eingetroffen, also hatte sein Plan funktioniert. Erleichtert ging er in den Garten zurück, als Erstes musste mal ihr Stuhl weg. Er klappte das ungeliebte Stück zusammen und verstaute es „für immer“ in der Garage.
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